













































GORLEBEN-CHRONIK
Das Jahr 1980
"Republik Freies Wendland"
Platzbesetzung der Bohrstelle Gorleben 1004 und Gründung der "Republik Freies Wendland". Die Räumung nach vier Wochen wird zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der BRD.
Januar
04.01.1980
25.01.1980
Quelle: u.a. Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag
Februar
06.02.1980
April
05.04.1980
Am Ostersonntag gibt es am Nachmittag eine Demo mit Männern und Kindern. Rebecca Harms, damals 23 Jahre alt, später Europaabgeordnete der Grünen, verliest dabei die "vorläufige Inbesitznahme" des Geländes um die geplante Tiefbohrstelle 1004, der "Keimzelle der Republik freies Wendland". Der Text dieser "Verordnung" entspricht dem Schreiben, mit dem die Besitzer von Grundstücken, auf denen Bohrungen vorgenommen werden sollen, vorübergehend enteignet werden.
Quelle: u.a. wendland-net.de
Mai
"Republik Freies Wendland"
03.05.1980
Auszug aus der Bekanntmachung – vorzeitige Besitzeinweisung – Mai 1980
Auf dem trostlosen, weil zuvor abgebrannten Waldstück werden in den darauf folgenden Tagen Dutzende Häuser gebaut: Aus Holz und Lehm entsteht ein phantasievolles Dorf mit allen notwendigen kommunalen Einrichtungen. Willkommen in Utopia: öffentliche Küche, Sauna, ein Freundschaftshaus, Badehütten, Klos, Gewächshäuser, Gärten, Schweineställe, eine Ponyreitanlage für Touristen, ein mit Windenergie betriebener Tiefbrunnen, eine Solar-Warmwasseranlage, ein Klinikum, eine Einreisebehörde mit Passamt – nicht zu vergessen der Wendländische Frisiersalon.
Eine perfekte Infrastruktur der in nur wenigen Tagen aus dem Sand gewachsenen neuen Republik, die natürlich auch über ihre eigenen Medien verfügt: vom Turm des besetzten Platzes sendet der republikeigene Sender "Radio Freies Wendland" auf UKW 101 MHz sein eigenes Programm. Schlagbäume grenzen die "Republik Freies Wendland" vom Nachbarland BRD ab, am Passhäuschen mit Schlagbaum werden "Ausweisdokumente" ausgestellt. Das Besetzerdorf macht Schlagzeilen. Niemand vermag sich dem Charme und der Faszination dieses selbstbewussten, fröhlichen Zusammenlebens im Dorf entziehen. Nach anfänglichem Zögern schauen Bauern aus dem Wendland mit ihren Frauen vorbei und bringen Brot, Kuchen, eine Schweinehälfte, Kartoffeln und Gemüse für die Langhaarigen. Die Platzbesetzer:innen bauen unentwegt weiter an den Hütten aus Brandholz, es gibt Straßen und Blumengärten. Ein Hauch von "Woodstock-Gefühl" schwebt über dem besetzten Platz. Es regnete nie in den 33 Tagen der Republik Freies Wendland.
Während sich die meisten im Dorf auf die Gestaltung eines alternativen Lebens konzentrieren, gibt es im täglich mehrere Stunden tagenden Sprecher:innenrat heftige Kontroversen zwischen BI Umweltschutz und Atomkraftgegner:innen aus den Städten über Perspektiven der Aktion und konkret das Verhalten bei der polizeilichen Räumung. Unter Berufung auf einen "Konsens" setzen die Einheimischen ihr Konzept des passiven, gewaltfreien Widerstands durch - und blocken gleichzeitig den Vorschlag für eine Großdemonstration in Gorleben unmittelbar nach der Räumung ab.
An den Wochenenden werden die 500 bis 700 ständigen Platzbesetzer:innen von jeweils 2.000 bis 4.000 Besucher:innen förmlich überrannt. Gerhard Schröder, damals JUSO-Chef, spricht sich am Ort des Geschehens gegen eine Räumung aus.
Die Politiker in Hannover versuchen, die Besetzer:innen vor allem mit Strafandrohungen zu kriminalisieren und unter Druck zu setzen. Eine Delegation wird erst im zweiten Anlauf von Bundesumweltminister Baum zu einem Gespräch empfangen. Außer der Zusage, ein Hearing über die Endlagerung zu veranstalten, kommt nichts dabei heraus.
2.000 Menschen von überall her machen sich auf nach Gorleben, um das Dorf zu schützen, als sie von der bevorstehenden Räumung hören.
Quelle: u.a. D. Kaufmann: Meine erste Platzbesetzung (2020)
Hörstück: Von Träumen und dem Paradies - das Hüttendorf 1004 (Dirk Drazewski & Gorleben Archiv e.V., 2020)
Juni
03.06.1980
"Turm und Dorf könnt Ihr zerstören, aber nicht unsere Kraft, die es schuf!"
04.06.1980
Auf dem Dorfplatz der "Republik" haben sich 2.000 Bewohner:innen versammelt. Sie singen friedliche Lieder mit Titeln wie "Die Lebenslust ist unser Widerstand". Ein Akkordeonspieler spielt dazu auf dem Schifferklavier. "Bei allem, was jetzt passieren wird, denkt daran: Wir sind die Glücklichen! Wir haben hier gebaut und gepflanzt. Die Unglücklichen sind die, die jetzt in weißen Helmen, die jetzt mit Knüppeln gegen uns losgehen sollen"...
Der Sender des Hüttendorfs ließ die Lüchow-Dannenberger Bevölkerung an ihren Radios zu "Ohrenzeugen" des Geschehens werden:
Trotz Angst und Wut über die gewalttätigen Übergriffe der Polizei, hielten sich die Platzbesetzer an ihr Konzept, die Republik Freies Wendland gewaltfrei gegen die staatliche Übermacht zu „verteidigen“.
Mehrfach wiederholt die Polizei ihre Aufforderung, doch die Demonstranten rühren sich nicht. Um 11 Uhr beginnen Trupps von Polizisten und Grenzschutzbeamten, die Menschen vom Dorfplatz hinter die Absperrungen zu tragen. Obwohl die Sitzenden keinerlei Widerstand leisten, kommt es zum Einsatz von Schlagstöcken. Die unter den Türmen ausharrenden Besetzer:innen leisten stärkeren Widerstand, der allerdings auch hier bald gebrochen ist. Als letztes werden die Leute im großen Turm von Beamten überwältig, die sich zuvor aus Hubschraubern abgeseilt haben. Gegen 20 Uhr ist die Räumungsaktion beendet. Der leere Dorfplatz ist mit Stacheldraht umzäunt. Die „Freie Republik Wendland“ existiert nicht mehr.
33 Tage dauert dieser Traum von einer autonomen, selbstverwalteten Gesellschaft, der für viele der mehr als 1.000 Dorfbewohner nicht nur ein Kampf gegen Atomenergie und Atomstaat war, sondern auch die gelebte Utopie einer anderen Gemeinschaftsform. Der Staat antwortet mit Bulldozern, Raupen und „Apocalypse Now“-tauglich geschminkten BGS-und Polizeiaufgeboten und führte den bis dahin größten Einsatz in der Geschichte der Bundesrepublik durch. Die Armada braucht nur wenige Stunden, um alles dem Erdboden gleich zu machen.
„Turm und Tor könnt Ihr zerstören, aber nicht unsere Kraft, die es schuf“, steht auf einem der letzten Hütten, bevor sie ein Bulldozer platt walzt.
Bei der Räumung der Republik Freies Wendland am 4. Juni hatten wir damals in Frankfurt am Main die Paulskirche besetzt. Die Polizei brauchte etwas Zeit, bis sie an uns rankam. Die Eingänge waren mit Eisenketten innen verriegelt. (D. Kaufmann)
Quelle: Auszüge aus: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag / ndr.de, Beitrag anlässlich des 40. Jahrestages am 3. Mai 1980
Juli
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag
16.07.1980
17.07.1980
September
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag
Oktober
13.10.1980
Quelle: Lieber aktiv als radioaktiv II, LAIKA-Verlag
Die ganze Geschichte:

2001
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.

2005
25 Jahre nach der „Republik Freies Wendland“ und 10 Jahre nach dem ersten Castortransport ist die Entsorgung des Atommülls weiter ungelöst. In die Debatte um die Entsorgung des Atommülls und die Zukunft der Atomenergie kommt Bewegung, die Veränderungssperre für den Salzstock wird verlängert. Container brennen, Bauern ziehen sich aus – und im November rollt der nächste Atommüllzug ins Zwischenlager.

2009
Brisante Enthüllungen: Gorleben wurde aus politischen Motiven zum Endlagerstandort. Seit Jahren wird nicht nur „erkundet“, sondern ein Endlager gebaurt. „Mal so richtig abschalten“ – ein Protest-Treck aus dem Wendland führt zu einer großen Demo gegen AKW-Laufzeitverlängerung nach Berlin. Kein Castortransport, seit Oktober finden jeden Sonntag Spaziergänge um das Bergwerk statt.

2024
Die BI fordert einen Transportestopp ins Fasslager und den Neubau der Zwischenlagerhalle aus Sicherheitsgründen, denn die Castoren werden noch lange hier bleiben müssen. Der „Rückbau“ des verhinderten Endlagers wird immer teurer, Ende November beginnt dann endlich das Zuschütten: 400.000to Salz kommen zurück unter die Erde. Ein Meilenstein.

1981
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.

2001
Zwei Atommülltransporte rollen nach Gorleben, einer im März, ein zweiter im November. X-tausend Menschen stellen sich quer und WiderSetzen sich. Der Betonblock von Süschendorf zwingt den Castor zum Rückwärtsgang. Der Widerstand bekommt ein Archiv, die Bundestagsabgeordneten ein Denkmal, die „Gewissensruhe“.

2005
25 Jahre nach der „Republik Freies Wendland“ und 10 Jahre nach dem ersten Castortransport ist die Entsorgung des Atommülls weiter ungelöst. In die Debatte um die Entsorgung des Atommülls und die Zukunft der Atomenergie kommt Bewegung, die Veränderungssperre für den Salzstock wird verlängert. Container brennen, Bauern ziehen sich aus – und im November rollt der nächste Atommüllzug ins Zwischenlager.

2009
Brisante Enthüllungen: Gorleben wurde aus politischen Motiven zum Endlagerstandort. Seit Jahren wird nicht nur „erkundet“, sondern ein Endlager gebaurt. „Mal so richtig abschalten“ – ein Protest-Treck aus dem Wendland führt zu einer großen Demo gegen AKW-Laufzeitverlängerung nach Berlin. Kein Castortransport, seit Oktober finden jeden Sonntag Spaziergänge um das Bergwerk statt.

2024
Die BI fordert einen Transportestopp ins Fasslager und den Neubau der Zwischenlagerhalle aus Sicherheitsgründen, denn die Castoren werden noch lange hier bleiben müssen. Der „Rückbau“ des verhinderten Endlagers wird immer teurer, Ende November beginnt dann endlich das Zuschütten: 400.000to Salz kommen zurück unter die Erde. Ein Meilenstein.

1981
Gorleben-Hearing in Lüchow zum Bau des Zwischenlagers und massiver Protest gegen das AKW Brokdorf. Nach Bohrungen werden die Zweifel an der Eignung des Salzstock Gorleben für ein Endlager „größer, nicht kleiner“. Doch Gegner*innen des Projekts seien „Schreihälse, die bald der Geschichte angehören“, meinen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Oppositionsführer Helmut Kohl.